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1. „Die deutsche Wirtschaft und ihre Umwandlung in eine polnische Wirtschaft“ – Das Fremdbild der Deutschen über die Polen im Spiegel einer Karikatur

Präsentation

Die Karikatur ist aus der Zeitung Kladderadatsch vom 27.7.1919. Kladderadatsch war eine politische, satirische Wochenzeitung, die von 1848-1944 erschien.

Fragen

  1. Beschreibt die Karikatur.
  2. Stellt eine erste Deutungshypothese auf. Was will der Karikaturist mitteilen?

Anzeige des Lehrer-Ansicht auf die Antworten finden.


Beschreibung und Analyse

Der erste Teil der Karikatur zeigt eine deutsche Familie im Garten einer Gaststätte: Im Hintergrund sehen wir eine Kleinstadt mit Kirchturm und eine Mittelgebirgslandschaft mit einer Burg. Unter einem Baum, an einem Tisch, sitzt das Ehepaar mit vier Kindern, das älteste im Matrosenanzug, der Jüngste im Arm der Mutter. Die Ehefrau schaut züchtig zur Seite, während der Ehemann, einen Maßkrug vor sich und eine Zigarre in der Hand, den Wirt bezahlt, dessen Frau oder Angestellte den bestellten Kaffee zum Kuchen, der bereits auf dem Tisch steht, serviert. Ein Schwesterchen kümmert sich liebevoll um das zweitjüngste Kind, im Hintergrund sind zwei weitere Gäste angedeutet, die sich unterhalten. Die gesamte Atmosphäre ist entspannt und freundlich, man tafelt unter einem Baum, ganz offensichtlich herrscht „Kaiserwetter“.

Der zweite Teil der Karikatur ist antithetisch zum ersten angelegt. Wir schauen in das Innere einer Spelunke. Im Mittelpunkt steht eine gramgebeugte Frau, zwei verzweifelte Kinder an ihrem Rock, eines im Arm, die offensichtlich versucht, ihren völlig betrunkenen Ehemann aus der Kneipe zu bekommen. Er sitzt an einem Tisch, Arm und Kopf auf diesen aufgestützt, ballt die Fäuste als Zeichen der Abwehr seiner Frau. Das Glas Wein hat er im Suff umgestoßen, der Inhalt läuft über den Tisch. Hinter ihm, an einem weiteren Tisch, findet gerade eine Schlägerei statt, die Fäuste sind erhoben, während drum herum zwei weitere Personen in dem Tumult ihren Rausch ausschlafen. Auf der linke Seite der Karikatur sieht man so etwas wie eine Theke, aus schlichtem Holz zusammengezimmert. Zwei Personen stehen davor, während dahinter ein missmutiger Wirt gerade Wein ausschenkt. Die gesamte Szenerie ist von Trunksucht und Gewalt, Missgunst und auch Schmutz geprägt. Das Innere der Kneipe ist nicht verputzt, überall fliegen Spielkarten, Gläser und andere Gegenstände herum, Tische und Boden sind mit Wein oder Wasserlachen übersät.

Geographisch/Historisch Kontext

Ganz offensichtlich zeigt der Karikaturist den Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“: ´Egal, was die Polen wirtschaftlich anfassen, es missrät und endet im Chaos´. Das Polenbild der Deutschen ist aber nicht ausschließlich negativ. Seit dem 18. Jahrhundert sind in der Bewertung des polnischen Nationalcharakters positive wie negative Eigenschaften enthalten. Zum Einen werden beispielsweise die Polen als freiheitsliebend charakterisiert, zum Anderen als fanatisch, was jeweils eine andere, jedoch grundsätzlich auf einem ähnlichen Charakterzug basierende Bewertung bedeutet. Je nach Kontext und politischer Konjunktur, je nach Konstellation und Disposition kann dieser mit einem positiven oder negativ konnotierten Adjektiv beschrieben werden. Nach Jaworski kann so der schnelle Wechsel zwischen Polenschelte und Polenliebe seitdem erklärt werden.

Das Stereotyp von der „polnischen Wirtschaft“ ist dabei ein durchaus gängiges und ebenfalls seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich. Nach den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert wurde der Aufbau des altpolnischen Reiches mit diesem Begriff als chaotisch, unwirksam, machtlos und nicht länger existenzfähig diffamiert und die Teilung so gerechtfertigt. Zu den Vorstellungen von staatlicher „Unordnung“ kam diejenige einer maroden und faulen polnischen Adelswelt, der das Bild vom fleißigen, disziplinierten und sauberen Preußen entgegengesetzt wurde. Das seit drei Jahrhunderten bekannte Stereotyp hat eine doppelte Funktion: die des Heterostereotyps und die des Autostereotyps. Vor der Negativfolie konnten die als deutsch erklärten Tugenden umso vorteilhafter zur Geltung kommen.

Das Negativimage von der Rückständigkeit Polens wurde bereits in der Zeit der Romantik auch positiv gewendet und Polen wurde zu einer Region exotischer Ursprünglichkeit verklärt. Bereits die Teilungen, aber vor allem der Novemberaufstand von 1830, als sich die Polen gegen die russische Herrschaft erhoben, löste die sogenannte „Große Emigration“ aus. Nach Niederschlagung des Aufstandes flohen über 9000 polnische Freiheitskämpfer, hauptsächlich Soldaten, Offiziere und Intellektuelle nach Westeuropa. Überall in Europa wurden die Polen als die „Sturmvögel der Revolution“ gefeiert.

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