3. Wie wurden die Arbeitsmigranten aufgenommen?

EUROPA - KNIGGE 1962

Goldene Regeln für den Umgang mit Gastarbeitern

Auf einer Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg über das Thema: "Die ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik" ergaben sich folgende Hinweise:

Der Südländer will als Persönlichkeit behandelt werden. Er ist von Natur liebenswürdig und schätzt eine liebenswürdige Umgangsart. Eine kleine Ge¬fälligkeit, zum Beispiel eine angebotene Zigarette, gewinnt sein Herz im Nu.

Der Südländer leidet oft unter Heimweh; er sucht Freundlichkeit und auf¬richtigen Kontakt mit der Umgebung. Seine Isolierung kann ihn dazu verführen, sich mit asozialen Elementen einzulassen; man sollte ihm deshalb Kontakt mit Familien ermöglichen.

Der südländische Fremdarbeiter denkt an seine Familie, er ist arbeitsam und spart; man soll keinen Wucher mit ihm treiben, wenn er Unterkunft sucht.

Der Südländer - der Italiener, der Spanier, der Grieche - weiß sich als Erbe einer großen Kultur und ist stolz darauf. Diesen Stolz sollte man achten und keinen der Gastarbeiter mit einem Spott- oder Schmähnamen, also etwa den Italiener "Makkaroni" nennen.

Die Arbeitsfreudigkeit fehlt dem Südländer nicht; aber er braucht mehr als der Deutsche eine freundliche Anerkennung für seine Leistung.

Manche Südländer haben noch keinen rechten Sinn für Sauberkeit und Ord¬nung. Man sollte sie durch gute Unterkünfte zu diesen Tugenden ermuntern.

Der Mangel an Verständigung und Verständnis verleitet den südländischen Arbeiter leicht zu kleinen Notlügen, mit denen er gewissen Schwierigkeiten aus dem Wege geht.

Die Ausländer sollen nicht bevorzugt werden, aber mit Rücksicht auf ihre Hilflosigkeit ist eine Sonderbehandlung manchmal unbedingt erforderlich.

Bei Unruhen und vielleicht unbegründeten Klagen ist eine harte und kon¬sequente, jedoch gerechte Klarheit der einzige Ausweg.

Auch der Südländer hat den Wunsch, beruflich höher zu steigen. Man sollte ihm daher Gelegenheit geben, auch qualifizierte Arbeiten zu verrichten.

Im öffentlichen Leben nimmt der Südländer Gebote und Verbote nicht so "tierisch ernst"; bei aller Strenge sollte man auch etwas Verständnis für seine Mentalität walten lassen.

Die Betriebe und öffentlichen Einrichtungen sollten den Fremdarbeitern Gelegenheit zum Besuch deutscher Sprachkurse bieten; bessere Sprachkenntnisse der Ausländer kämen der Verständigung und dem Verständnis sehr zugute.

Der Südländer hat angeblich Erfolg bei den Frauen; wenn er einer Frau Komplimente machte, meint er es jedoch selten ernst. Der Südländer ist von seiner Heimat her Zurückhaltung bei den Frauen gewohnt; kommt ihm im Gastland eine Frau offener entgegen, meint er, sie habe kein Ehrgefühl, und er dürfe sich etwas herausnehmen. Auch auf diese Vorstellung vom angemessenen Verhal¬ten der Frau ist Rücksicht zu nehmen.

Der Südländer ist gewöhnlich religiös von Natur. Man sollte seine Religiosität und auch die andere Art seines religiösen Ausdrucks achten. Das Gastland und die Unternehmer sollten alles tun, damit die Ausländer Gottes¬dienste in ihrer Muttersprache erhalten und von Geistlichen aus der Heimat umsorgt werden.

Die Arbeitgeber können für ihre ausländischen Arbeiter Zeitungen aus ihrer Heimat abonnieren. Die Sendeanstalten sind dazu übergegangen, für die ausländischen Arbeiter eigenen Sendungen zu bringen; auf diese seien die Firmen besonders verwiesen.

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Quelle: Eryilmaz, Aytaç (Hrsg.): Projekt Migration. Köln 2005. S. 345.

Präsentation

Begriffe --- Knigge: Nach dem Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge (* 16. Oktober 1752 in Bredenbeck bei Hannover; † 6. Mai 1796 in Bremen) benannter Ratgeber für richtiges Benehmen. Knigge war ein deutscher Schriftsteller der Aufklärung. Der „Knigge“ bezieht sich auf seine Schrift „Über den Umgang mit Menschen“.

Fragen

  1. Fasst den obigen Text mit eigenen Worten zusammen.
  2. Nehmt zu dem Text kritisch Stellung. Wie wirkt er auf euch?
  3. Versetzt euch in die Lage des Portugiesen Rodrigues und nehmt einmal an, er habe den Text gelesen. Beschreibt, was er bei der Lektüre empfunden haben mag?
  4. Stellt Vermutungen an, warum dieser Text im Rahmen einer religiös-pädagogischen Tagung( auf der Akademie der Diözese Rottenburg) verfasst wurde.

Anzeige des Lehrer-Ansicht auf die Antworten finden.


Antworten

  • Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten, dass der Text ist voller Stereotypen und Vorurteile über „den“ Südländer ist. Dabei ist er gemeint als Anleitung für ein besseres Miteinander. Er verdeutlicht also gleichzeitig des Tatsache, dass der Zuzug von „Gastarbeitern“ zu sozialen Problemen führte und einen zentralen Grund dafür: die herrschenden Vorurteile über die Arbeitsmigranten.
  • Die Schülerinnen und Schüler sollen das analytisch erfassen und beurteilen, aber auch durch einen Perspektivwechsel aus der Sicht der „Fremden“ beurteilen lernen (Fremdverstehen).