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1. Alexander Schneer (1844): „Über die Not der Leinenarbeiter in Schlesien und die Mittel ihr abzuhelfen“; Jérôme-Adolphe Blanqui (1848): „Des classes ouvrières en France, pendant l´année 1848“, Übers. W. Hausenstein

Alexander Schneer (1844): „Über die Not der Leinenarbeiter in Schlesien und die Mittel ihr abzuhelfen“. Bericht an das Komitee zur Abhilfe der Not unter den Webern in Schlesien

„Seit sieben und mehr Jahren haben sich die Unglücklichen nicht mehr irgendein Kleidungsstück beschaffen können, ihre Bedeckung besteht aus Lumpen; ihr Wohnungen zerfallen, da sie die Kosten der Herstellung nicht aufbringen können; die missratenen Ernten der Kartoffeln, namentlich der beiden letzten Jahren, haben sie auf die billigeren wilden oder Viehkartoffeln und auf das Schwarz- und Viehmehl zur Nahrung angewiesen; Fleisch kommt nur bei einigen zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten ins Haus, und dann für eine Familie von fünf bis sechs Personen ein halbes Pfund! Den Kirchenrock haben viele schon lange verkauft oder versetzt; sie schämen sich, in ihren Lumpen zur Kirche zu gehen, und so entbehren sie auch noch des geistigen Trostes bei diesem Elend. Im letzten Winter hat man von wirklicher Hungersnot unter diesen Armen sprechen können. Dass die Weber dazu getrieben worden […] von sauer und stinkig riechenden gekochten Stärke sich zu ernähren, war nach unzweifelhaften Zeugnissen eine nicht seltene Erscheinung.

Adolphe-Jérôme Blanqui (French political economist): Des classes ouvrières en France, pendant l´année 1848, Transl. W. Hausenstein

„Die extreme Zusammendrängung der Bevölkerung in den Städten, die hygienischen Gefahren der Wohnungen, ansteckende Beispiele, die Missbräuche der industriellen Zustände, die Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse, die Verwahrlosung der Kinder, das sind die allgemeinen Merkmale der großen Industriezentren, und diese Merkmale finden sich in höchstgesteigerter Intensität im Gebiet der untern Seine. […] Die beiden trostlosesten Erscheinungen sind die hygienischen Missstände in den Wohnungen und der Missbrauch der industriellen Kinderarbeit. Auf diesen Wegen pflanzt sich das Übel von Geschlecht zu Geschlecht fort. […] solange das Kind nicht in einer gesunden und erträglichen Wohnung geboren werden und leben kann, solange es vorzeitig an die Fabrik gekettet wird, anstatt die Schule zu besuchen, solange ist für die körperliche und sittliche Hebung der arbeitenden Klasse nichts zu hoffen.“

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Source: Gottfried Guggenbühl, Quellen zur Geschichte der Neuesten Zeit, Zürich, 1978, S. 123 und 126.

Präsentation

Fragen

  1. Welches Arbeitsumfeld beschreibt der jeweilige Autor?
  2. Inwieweit sind die Lebensverhältnisse der schlesischen Weber und der Pariser Industriearbeiter vergleichbar? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

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Geographisch/Historisch Kontext

1844 gab es in Deutschland nach Schätzungen weniger als 5% Fabrikarbeiter unter den Beschäftigten. Die meisten Arbeiter verdienten ihren Lohn in Heimarbeit. Die Weber z.B. erhielten Garn und Wolle von einem Großhändler und fertigten zuhause auf ihrem Handwebstuhl Leinwand oder Wollstoffe (Verlagssystem). Nach dem Wegfall der napoleonischen Kontinentalsperre waren, angesichts der preußischen Freihandelspolitik und durch die Einführung des mechanischen Webstuhls in England, billigere Produkte ins Land geströmt. Die Umstellung bei den deutschen Fabrikanten führte in Schlesien zu Lohnverfall, der auch durch Kinderarbeit und die Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit nicht ausgeglichen werden konnte. Zudem wurde diese Situation von manchen Großhändlern rücksichtslos ausgenutzt. So kam ein Heimarbeiter, selbst wenn Frau und Kinder mitarbeiteten, nicht einmal auf 50 Taler im Jahr.

Die Industrialisierung kam in Frankreich aufgrund der Revolution und der napoleonischen Kontinentalblockade zunächst eher schleppend voran. Diese Entwicklung nahm im Zeitraum 1830 bis 1860 an Fahrt zu, es kam zu einem rasanten Anstieg der industriellen Produktion. Das Wirtschaftswachstum in Frankreich blieb jedoch weiterhin hinter anderen europäischen Ländern zurück. Die Lage der französischen Arbeiter kann in zwei Phasen geteilt werden: in eine bis 1848, in der sich die Situation der Arbeiter verschlechterte, und in eine zweite bis 1880, in der sich die Situation abmilderte.

Ein Arbeitstag eines französischen Industriearbeiters betrug 1848 etwa 15 Arbeitsstunden. Untersuchungsbeamte betonten immer wieder die ungesunden Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Industriezweigen. Die Arbeitsbedingungen erklären zusammen mit der Länge des Arbeitstages und den fehlenden Sicherheitsvorkehrungen die Häufigkeit von Unfällen.

Antworten zu den fragen

1. Welches Arbeitsfeld beschreibt der jeweilige Autor?

Schneer beschreibt das Lebens- und Arbeitsmilieu der schlesischen Weber, Blanqui das der französischen Industriearbeiter in Paris.

2. Inwieweit sind die Lebensverhältnisse der schlesischen Weber und der Pariser Industriearbeiter vergleichbar? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Beide schreiben über schreckliche hygienische Verhältnisse und schlechte Wohnraumsituationen. Schneer betont zudem die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln, Blanqui die Problematik der Kinderarbeit. Werden die Missstände nicht behoben, drohen eine dauerhafte Verelendung und soziale Konflikte. Zudem betont Blanqui den Wert und die Bedeutung von Erziehung.