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4. Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung, 21.1.1997

[...] Die Regierung der Bundesrepublik und der tschechischen Republik […] im Bewusstsein, dass die Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union […] nachdrücklich und aus der Überzeugung heraus unterstützt, dass dies im gemeinsamen Interesse liegt, im Bekenntnis zu Vertrauen und Offenheit in den beiderseitigen Beziehungen als Voraussetzung für dauerhafte und zukunftsgerichtete Versöhnung – erklären gemeinsam:

[...]

II. Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchener Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zur Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik geführt haben. Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist. Die deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieser Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben.

[...]

III. Die tschechische Seite bedauert, dass durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldiger Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde. […] Sie bedauert insbesondere die Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanistischen Grundsätzen und auch den damals geltenden Normen gestanden haben und bedauert darüber hinaus, dass es aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai 1846 ermöglicht wurde, Exzesse als nicht widerrechtliche anzusehen, und dass infolge dessen diese Taten nicht bestraft wurden [...]

[...]

VIII. Beide Seiten stimmten darin überein, dass die historische Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der gemeinsamen Forschung bedarf und treten daher für die Fortführung der bisherigen erfolgreichen Arbeit der deutsch-tschechischen Historikerkommission ein.

Präsentation

Gewaltsame Übergriffe auf Deutsche nach dem Kriegsende sowie die Internierung, Enteignung und Vertreibung von ca. 2,9 Millionen Menschen aus der Tschechoslowakei, sind bis heute ein umstrittenes Thema in den deutsch-tschechischen Beziehungen. Nach einer Ära der „Nicht-Beziehung“ kam es ab den 1970er Jahren zu einer schrittweisen Annäherung. Beide Seiten sind heute unter dem Dach der Europäischen Union um eine aufrichtige Aussöhnung bemüht.

Fragen

  1. Auf welche historischen Ereignisse nimmt die Erklärung Bezug?
  2. Wer gesteht hier die Schuld an welchen historischen Ereignissen ein?
  3. Welche Rolle fällt Europa bzw. der Europäischen Union zu?
  4. Warum wird eine gemeinsame wissenschaftliche Erforschung vereinbart?

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Geographisch/Historisch Kontext

Am Ende des Zweiten Weltkriegs rückte die Rote Armee von Osten über die Slowakei nach Mähren vor. Viele Deutsche flohen nach Sachsen, Bayern und Österreich. In der Tschechoslowakei kam es gegenüber den Deutschen zu Übergriffen, zu Internierungen und „wilden“ Vertreibungen. Mit dem zwischen den Siegermächten am 2.8.1946 geschlossenen Potsdamer Abkommen wurde die „Vertreibung“ der deutschen und ungarischen Minderheit teilweise humanisiert. Nichts desto trotz verloren über 2,9 Mio. Menschen ihre Lebensgrundlage und ihre Heimat. Die Vertreibung und Aussiedlung war lange ein umstrittenes Thema in den deutsch-tschechischen Beziehungen, doch unter dem gemeinsamen Dach der Europäischen Union schreitet die Aussöhnung weiter fort.

Antworten zu den Fragen

  1. NS-Gewaltherrschaft in Europa und in der Tschechoslowakei (1938-1945), Münchner Abkommen (Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich), Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakei („Anschluss“, „Protektorat“), Flucht und Vertreibung von Tschechen (1939-1945), Flucht und Vertreibung der Sudetendeutschen (ab 1944)
  2. Deutsche Seite gesteht die Schuld ein: nationalsozialistische Verbrechen von Deutschen; Die tschechische Seite gesteht ein: Vertreibung und zwangsweise Aussiedelung der Sudetendeutschen, Enteignung und Ausbürgerung Unschuldiger, Verstöße gegen Menschenrechte
  3. Europa und die gemeinsamen europäischen Institutionen als Garanten für Frieden und eine nachhaltige Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen.
  4. Die Aussöhnung setzt die fachwissenschaftliche Erforschung der historischen Realitäten voraus; die gemeinsame Erforschung ermöglicht einen Austausch und befördert gegenseitiges Verständnis.

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